Aufbruch nach Timna
Klick, hörte ich nur und suchte erschrocken nach der Pistole, deren Lauf mit gespanntem Verschluss jetzt unzweifelhaft auf mich gerichtet sein musste. Bevor ich den Schützen finden konnte, ertönte wieder ein Klick! Ich zuckte zusammen, erwartete den Einschlag der Kugel und spürte, wie sie sich schmerzhaft ihren Weg durch mein rechtes Knie suchte. Erschrocken und schmerzverkrampft riss ich meine Augen auf! Endlich entdeckte ich, im Schein der sich im Canyon emporkletternden Sonne, eine Blondine, die mich mit gezogenem Fotoapparat anlächelte!
„Bettina!“, rief ich und massierte schlaftrunken mein am Vortag verletztes Knie!
„Guten Morgen, Aron! Aufstehen! Aufbruch nach Timna in 30 Minuten!“, begrüßte mich die befehlsgewohnte Krankenschwester.
In einer halben Stunde?, dachte ich verzweifelt und begann mit dem Packen meiner Sachen, nicht ahnend, dass sich diese Arbeiten in den kommenden 8 Wochen zu einem morgendlichen Ritual perfektionieren werden.
Erst öffnete ich das Ventil der luftgefüllten Iso-Matte, während sich der erschöpfte Atem des gestrigen Tages zischend den Weg in die frische Morgenluft suchte, rollte ich den Schlafsack zusammen. Danach verstaute ich beides in den Rucksack und überprüfte die Wasserreserven. Beim Auffüllen der Wasserblase fiel eine große Faltflasche um und bildete sofort eine feuchte Lache auf dem trockenen Zeltboden. Verzweifelt stellte ich fest, dass ich für die heutigen 23 km bis zum Timna Park nur 5 Liter Wasser hatte. Das wird knapp!, dachte ich und stopfte dabei die Ausrüstung in den Rucksack. Als Letztes baute ich das Zelt ab und verstaute es über Schlafsack und Isomatte.
Bevor es losging, musste ich noch mein kaputtes Knie dick mit Voltaren Salbe einschmieren, mein Handy für die Aufzeichnung der GPS-Tracks starten und eine Zigarette rauchen. Frühstück fiel bei uns generell aus. Auf eine Tasse Kaffee verzichtete ich zugunsten Bettinas morgendlichen Wanderdrangs!
Aufstieg zum Har Amram (Amram Berg)
Der Weg vom Shehoret Canyon nach Timna verläuft über den Har Amram, da Har Berg bedeutet, führte unser Weg also über den Amran Berg, der sich 586 Meter über das, im Morgendunst verhüllte Rote Meer erhebt. Der Shehoret Canyon liegt 186 Meter über dem Meeresspiegel, damit wird die Gipfelerstürmung mit 400 Metern eine überschaubare Größe bleiben.
23 km lagen vor uns, um 6:40 Uhr brachen wir auf. Da heute, einem Freitag, der Shabbat begann – das jüdische Wochenende – schloss der Kiosk in Timna bereits um 15:00 Uhr. Eis und Cola motivierten mich für den langen Weg, ein kühles Blondes dagegen Bettina!
Eine viertel Stunde später empfing uns der Israel National Trail, mit einem leuchtendem Orange-Blau-Weiß in seine steinigen Armen.
„Aron, komm!“, drängte Bettina, die von den einheimischen Bergziegen mit Bewunderung wegen ihrer Kletterleistung wahrgenommen wurde!
Für mich ist der Anfang immer schwer. Ich brauche, wie ein alter Schiffsdiesel etwa eine gute Stunde, bis ich warmgelaufen bin, aber dann kann ich rennen!
„Warte nicht, wir treffen uns oben!“, rief ich der Bergläuferin zu, sog einmal kräftig an dem Schlauch der Wasserblase und genoss das noch nachtkühle Nass zwischen den Lippen.
90 Minuten später, 400 Meter höher und sechs Kilometer weiter empfing mich Bettina strahlend, „ Schau dir nur diesen Blick an!“
Recht hatte sie, dachte ich und zog erschöpft mein Lumia aus der Hemdtasche, mit noch zitternden Händen überwältigte mich die, wie im jungfräulichen Charme durch Nebeldunst verschleierte Wüstenlandschaft. Ich drückte einfach auf den Auslöser der Kamera und hoffte, dass die Verwacklungsautomatik des Handys die Schönheit des Negevs einfangen kann. Letztmalig genoss ich den Blick, der von den morgendlichen Sonnenstrahlen gestreichelten Wildnis der Wüste, die ihre ockertönende Pracht in der Diesigkeit des biblischen Schilfmeeres aufgehen ließ.
Benommen von der Aussicht und noch erschöpft von dem Aufstieg löste ich die Gurte von meinem Rucksack! Ungeschickt, dafür aber um so schwungvoller nahm ich das 17 kg schwere Gepäckstück vom Rücken und ließ es krachend auf den spitzsteinigen Boden des Amram Berges fallen!
KLATSCH! PLATSCH!
Mein ganzer Körper erstart! Pures Entsetzen erfasst mich! Meine Augen verfolgen wie sich die Reste der aufgeplatzten Wasserflasche mit einem schlammigen Schweif in Richtung Canyon verflüchtigen! Sekunden später hatte der durstige Wüstenboden die zwei Liter Wasser restlos verschluckt!
In Richtung Timna
16 Kilometer lagen noch vor mir. 1,5 Liter Wasser mussten für diese Wegstrecke bei einer Temperatur von ca. 38 Grad ausreichen. Viel mehr von dem kostbaren Nass wird kaum in meiner bläulich schimmernden Blase, tief im Inneren des Rucksacks schlummern.
Bettina bitten kam für mich nicht in Frage, Ich wusste, dass auch sie nur mit einem Minimum von 4 Litern Wasser losging. Sollte sie etwas von dem Wasserproblem mitbekommen, würde die taffe Krankenschwester aus Münster auch noch ihren letzten Tropfen mit mir teilen. Dessen absolut sicher, wollte ich nicht, auch sie noch in Gefahr bringen.
Hierbei fielen mir die Worte von Helmuth ein, einem evangelischer Pastor, den wir auf unserer ersten Tagesetappe kennengelernt hatten, „Ab 8000 Metern stirbt jeder für sich alleine!“ Eine Antwort, die mich damals erschütterte.
Dabei lehnte ich doch nur mit den Worten, „ Ich brauche später vielleicht auch Hilfe.“, eine Bezahlung für die Wasserflaschen ab, die mein Freund David zu viel in das Yehoram Nightcamp brachte.
Schweigend konzentrierte ich mich auf die abstrakte Landschaft.
Es wird schon gut gehen, so dachte ich!
„Aron, hier machen wir eine kurze Pause.“, riss mich Bettina aus meinen Gedanken. Da ich auf gerader Strecke die Vorteile meiner langen Beine ausnutzen konnte, ging ich gute 100 Meter vor ihr und bemerkte nicht, dass ich an zwei schattenspendenden Palmen vorbei gelaufen bin.
Raham Palmen, so nennt sich dieses Pärchen von Bäumen, im Tal des Amram, wo wir Beide im Schatten der Blätter eine Zigarette rauchten.
Nicht ahnend, dass nur ca. 40-50 cm tiefer eine Thamila liegt, eine Wasserquelle, die für das Gedeihen der kleinen Oase verantwortlich ist, nahm ich sparsam einen Schluck aus dem schwindenden Wasservorrat.
Die Sonne schickte unbarmherzig ihre heißen Strahlen auf die staubige Piste für Allradfahrzeuge, auf der der Shvil Israel mündete. Gegen 11:30 erreichten wir eine kleine Baumgruppe. Diesmal schlug ich, wegen der Schmerzen in meinem Knie die Mittagspause vor. Während das Gelenk die wohltuende Salbe dankend aufsog, trank ich behutsam aus dem Schlauch der Wasserversorgung. Gefasst nahm ich das röchelnde Geräusch aus dem Inneren meines Rucksacks wahr!
Ich habe kein Wasser mehr!
Bettina geht alleine nach Timna
Sechs Kilometer, also rund zwei Stunden lagen noch vor uns! Die nachlassende Intensität der Sonne ist kaum spürbar, sie schien sich mit der unerträglichen Hitze des aufgeheizten Weges zu potenzieren. Mit großem Schritt strebte ich der Lösung meines Problems entgegen! Timna Park! Wasser, Cola, Eis!
Der trockene Staub schnürt mir die Kehle zu! Erstaunlicherweise verspürte ich kaum Durst, mit dem Schwitzen hörte ich bereits vor Stunden auf! Von weitem sah ich schon die kraterartigen Berge, an deren südlichem Hang der Kiosk mit See und Gaststätte auf mich warteten.
Laden und Restaurant schließen in 30 Minuten, dachte ich und erhöhte die Schrittfrequenz auf ein ,für mein angeschlagenes Knie eigentlich nicht mehr akzeptiertes Tempo.
Beim nächsten Felsen stürze ich seitlich wieder auf mein Knie, stechend sucht sich der Schmerz seinen Weg in das dehydrierte Gehirn. Ich kann nicht mehr, bin am Ende! . „Nein, lass mich! Ich komme nach! Kaufe mir eine große Cola!“, schreie ich Bettina an, als sie mir helfen möchte.
„Meinst du das im Ernst?“, fragt sie mich besorgt. „Bettina, beeile dich! Ich komme gleich hinterher.“, antworte ich mit fester Stimme, um keine Schwäche zu zeigen und wünsche nur, dass sie endlich geht. Sie dreht sich um und eilt mit schnellem Schritt in Richtung Timna. Ich lasse meine Tränen einfach laufen. Lege mich dehydriert und ohne Wasser auf den kantigen Boden des Negev und hoffe, dass mich keiner sieht und findet.
25 Minuten später sitzt Bettina im Restaurant des Timna Parks!