Israel Trail mit Herz eine Leseempfehlung
1000 km voller Informationen und viel Gefühl.
Christian Seebauer (Künstler und Diplomingenieur für Informations-/ Elektrotechnik, Jahrgang 1967) berichtet in "Israel Trail mit Herz" über seine 1000 km Wanderung durch Israel. Emotional gibt er Informationen über den Israel National Trail weiter. Eindrucksvoll schildert er seine Erfahrungen mit der jüdischen Gastfreundschaft und vermittelt im Gegensatz zu den allgemeinen Medien ein ungewohntes und freundliches Bild über Israel.
Meine Vorbereitung für den Shvil Israel
Nach einer Wanderung durch den Red Canyon im Dezember 2015 lag ich entspannt auf meinem Bett im „Motel Aviv“ in Eilat. In acht Wochen wollte ich den Israel Trail auf seiner ganzen Länge von über 1000 km durchwandern, so der Plan. Aber das Informationsmaterial war dünn gesät und ein wenig Vorbereitung wollte ich mir trotz meiner Spontanität gönnen.
Anfang Februar sollte vom SCM Verlag ein Buch mit dem Titel „Israel Trail mit Herz: Das Heilige Land zu Fuß, allein und ohne Geld“ von Christian Seebauer erscheinen. Viel zu spät, dachte ich. Wenn ein Verlag Anfang Februar als Erscheinungsdatum angab, dann würden es noch mindestens vier Wochen mehr werden, so meine Erfahrungen und damit würde es für mich als Informationsquelle drei Wochen zu spät erscheinen. Da es hin und wieder auch in der Verlagswelt Wunder geben soll, ließ mich die Hoffnung auf ein solches, den Vorbestell-Button meines online Buchhändlers drücken.
Vier Wochen später und damit zwei Wochen vor dem angekündigten Erscheinungstermin lag es dann tatsächlich in meinen Händen.
„ Israel Trail mit Herz : Das Heilige Land zu Fuß, allein und ohne Geld“
Gespannt schlug ich den Buchdeckel des gut aufgemachten Druckwerkes auf, blätterte zum ersten Kapitel und las:
„Hoch über dem »Small Crater«, wie sie im Heiligen Land ihren Krater liebevoll nennen, habe ich meine innere Ruhe wiedergefunden. Ich liege allein auf einer verschlissenen Isomatte auf dem warmen Wüstenboden und blicke in einen tiefschwarzen Sternenhimmel.
So intensiv wie hier habe ich das Firmament noch nie in meinem Leben gesehen. Mein Zelt habe ich längst verschenkt. So wie fast alles, was ich nicht tragen konnte. Doch mit jedem Gegenstand, von dem ich mich auf meinem langen Weg getrennt habe, bin ich dem Glück und mir selbst immer näher gekommen. Ich fühle wieder etwas. Durch meine Finger lasse ich langsam den steinigen Sand bröseln.“
„Was ist denn DAS, ein Reisebericht im Präsens?“ Nun gut, ich wollte ja schließlich keine Prosa, sondern Informationen über den Israel Trail. Diese werde ich notgedrungen auch in dem, für mich ungewohnten Tempus der Gegenwart verdauen.
Wenige Zeilen später wurde meine Voreingenommenheit eines Besseren belehrt, ich fühlte mich von Christian Seebauer zu Hause abgeholt, eingeladen zu einer Reise durch das mir wohlbekannte Israel, entlang eines nahezu unendlich langen Weges voller Abenteuer, Menschen und Gefühle.
Spätestens bei der Landung in Tel Aviv fing mich das Flair des Airports, mit all seinen Klängen und Gerüchen ein. Ich bin angekommen in der Gegenwart, im modernen Israel und werde JETZT mit dir, Christian Seebauer, den Israel Trail erleben.
Ohne Geld durch Israel
Vom Kibbuze Dan, dem Startpunkt des Autors für den Israel Trail, führt er mich durch den Norden des Heiligen Landes bis zu dessen südlichsten Zipfel, der Touristenmetropole Eilat am Roten Meer. Empathisch schildert er die Erlebnisse mit den israelischen Menschen am Rande seines Weges. Gerne lausche ich den Geschichten über die jüdische Gastfreundschaft, die ihn so annehmen wie er ist, alleine, ohne Geld, und als Deutscher. Ich erfahre von den plagenden Selbstzweifeln und dem täglichen Kampf um jeden Kilometer, das Stückchen Brot und letztendlich dem lebensnotwendigen Tropfen Wasser in der Wüste Negev. Die Beschreibung der einmaligen Landschaft in diesem, an Quadratkilometern so kleinem Land, nimmt mich gefangen, die Höhenlinien der vor mir ausgebreiteten topografischen Karten verschwimmen zu Erlebnissen und Geschichten.
Zum Ende der Reise entlässt mich Christian Seebauer um viele Erfahrungen reicher, wieder da wo er mich abgeholt hat in der Gegenwart im hier und jetzt.
Begeistert legte ich Israel Trail mit Herz beiseite, nur drei Wochen später führte mich mein Weg auf genau diesen Israel Trail, nicht ohne Geld dafür aber völlig autark und ohne fremde Hilfe.
Meine Empfehlung für „Israel Trail mit Herz : Das Heilige Land zu Fuß, allein und ohne Geld“ fünf Sterne und Daumen hoch.
Buchinformation
gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: SCM Hänssler; 1. Aufl. (13. Januar 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3775157069
ISBN-13: 978-3775157063
Direkt beim Autor oder als Kindel Version bei Amazon bestellen
Auszüge aus: Israel Trail mit Herz
Orange-Blau-Weiß: Hier beginnt mein Weg
Auszug aus Israel Trail mit Herz
Von Kibbuz Dan nach Tel Hai (Kfar Giladi)
Etwa 14 Kilometer, 210 Höhenmeter Gesamtanstieg. Über das Dan Nature
Reserve, den Senir National Park, den Senir Stream, vorbei an Kibbuz
Ma‘ayan Baruch. Trinkwasserverbrauch 7 Liter.
"Als ich aufwache, wird mir schnell klar, dass ich den frühen Morgen
längst verpasst habe. Längst höre ich Stimmen und ein geschäftiges
Treiben im Kibbuz. Hastig packe ich meine Sachen zusammen und
begebe mich an den Hinterausgang des Dörfchens. Hier frage ich zwei
ältere Herren nach dem Israel National Trail, während zeitgleich eine
junge, bildhübsche Israelin mit einem Riesenrucksack und federleichtem
Schritt an mir vorbeiläuft. Das war die Antwort auf meine Frage
und auch die zwei Herren sehen es mir nach, dass ich auf ihre ausführliche
Antwort nicht mehr vollständig warte. Was ich im Davongehen
auf Hebräisch von den zwei Rentnern noch aufschnappe, verstehe ich
auch ganz, ohne Hebräisch zu sprechen. Sie scheinen sich trotz ihrer
alten Tage gerade lebhaft auszumalen, wie es wohl wäre, ebenfalls hinter
der flotten Pilgerin herherzulaufen!
Doch bereits nach der ersten Kurve ist diese mit ihren unmenschlichen
Riesenschritten für mich unerreichbar weit vorne. Noch eine
Kurve und sie ist nicht mehr da. Ein frustrierender Augenblick, aber
auch einer, der mir den Blick für die eigenen begrenzten Möglichkeiten
öffnete: Ich bin 47, keine 18 mehr. Während die gut trainierte Pilgerin
wie eine Fata Morgana aus meinem Horizont verschwunden ist, glaube
ich, unter meinem eigenen Gewicht gleich zusammenzubrechen. An
mehr ist da nicht mehr zu denken. Mein inneres Gefühl sagt mir, dass
ich bei der aufkommenden Hitze mit meinem untrainierten Körper so
keine zwei Kilometer weiterkomme. Also setze ich mich erst einmal hin
und organisiere mich neu. Hosenbeine abzippen. Hemd aus. Hut auf.
Was für eine herrliche Landschaft! Ist das das Heilige Land? Alles
um mich herum ist grün, fast so wie im Allgäu. Und wie zur Bestäti 31
gung dieses abwegigen Gedankens stellen sich an der nächsten Kurve
frei laufende Kühe in den Weg. Ich habe ja gelesen, dass der Israel
Trail Dörfer und Städte meidet und fast ausschließlich durch die Natur
führt. Aber das, was ich hier gerade erlebe, ist das, was ich mir hin
und wieder vom Jakobsweg gewünscht hätte: Feldwege, bunt blühende
Wiesen, fruchtbare Felder. Weit und breit kein Asphalt, sondern
echte Natur. Wahnsinn! Noch recht unsicher folge ich den ersten
Wegweisern des Israel Trails: blau-weiß-orange Streifen. Auf Steine
gemalt oder auf Zaunpfosten. Und man muss genau hinsehen, denn
manchmal scheint die dichte Vegetation die Wegweiser förmlich zu
verschlucken.
1 000 Stufen nach Nazareth
Auszug aus Israel Trail mit Herz
Über den Berg Tabor nach Nazareth
Etwa 22 Kilometer, 1 190 Höhenmeter Gesamtanstieg.
Über den Berg Tabor. Trinkwasserverbrauch 6 Liter.
»Meine« drei amerikanischen Studenten schlafen noch tief und fest, als
ich im ersten Morgenlicht fröstelnd aufwache. Ich entschließe mich,
dieser feuchten Kälte sofort zu entrinnen, stehe auf und packe zusammen.
Auf der Suche nach meinem Ladekabel wecke ich Jesse dann
auf. Er will noch weiterschlafen, es ist ihr letzter Tag. Ich drücke ihn
kurz, dann ziehe ich los. Diese Mischung aus »Festhalten wollen« und
»Loslassen dürfen« ist nach wie vor eines der tiefsten Gefühle, die ich je
erfahren habe. Es ist ein unheimlich bewegender Moment, »Freunde«,
die man gerade erst gewonnen hat, gleich auch wieder loslassen zu
müssen. Andererseits hat dieser Moment des Allein-Losgehens auch
etwas sehr Spirituelles an sich. Denn du spürst diese Verbundenheit
mit Menschen, die gerade eben das Gleiche machen wie du selbst. In
kurzer Zeit ist man so tief eingetaucht, dass man glaubt, deren Gedanken
mitnehmen zu können und somit weiterhin verbunden zu sein.
Beim Losgehen fühle ich mich frei und wehmütig zugleich. Ich freue
mich auf das Neue, was heute kommen mag. Ich wage nicht, an morgen
oder übermorgen zu denken. Zu absurd erscheint mir alles, was
jenseits meines sehr, sehr klein gewordenen Horizontes liegt.
Beim Verlassen des Dorfes habe ich heute sehr lange einem Auto
hinterhergesehen und mich als Fußgänger wie eine Schnecke gefühlt,
die nicht vorwärtskommt. Gleichzeitig hat diese Langsamkeit etwas
Magisches und Tiefsinniges in sich. Ich habe Zeit, ein Luxus, den man
sich mit keinem Geld der Welt erkaufen kann. Und: Diese Zeit gibt
mir andauernd etwas Schönes mit auf den Weg. Sie langweilt mich nie.
Sie ist, wie sie ist. Gemächlich, nicht hektisch wie sonst. Sie gibt mir
Eindrücke, die ich verarbeiten kann. Sie drängt mich nicht mehr. Sie
macht mich zufrieden.
Es hat aufgehört zu regnen. Die letzten Regenschwaden verziehen
sich und zaubern mir im Gehen eine gespenstisch schöne Landschaft
vor mich hin. Israel, das Heilige Land! Nichts, aber auch gar nichts
ist so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich bin angekommen. Ich gehe,
weil ich das für mich selbst tue. Und wo immer ich Hilfe brauche, sind
plötzlich liebenswerte Menschen da!"
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"..... Zwischen den Touristen höre ich auch zwei deutsche
Stimmen. Getrieben zwischen Highlight A und B haben die beiden
Rentner einen Plan vor sich ausgebreitet und ich höre den Mann
sagen: »Na, das ist jetzt die Verklärungsbasilika, oder?« Und sie sagt:
»Wir haben nur noch fünf Minuten. Hast du das schon gefilmt?« Ich
frage die beiden überraschten Alten, ob ich ein gemeinsames Foto
von ihnen machen soll. Sie lehnen ab. Ich denke, sie haben Angst, ich
könnte ihnen den Fotoapparat stehlen. Beide entfernen sich von mir,
so als ob ich einer anderen Welt entsprungen wäre. Klar, ich bin ein
Bettler. Aber bin ich deshalb ein böser Mensch? Einer, der andere stört,
ihnen gar etwas nimmt?
Nein, ich werde nicht hingehen und mich erklären. Nach dem Motto:
Hallo, ich bin Christian, ein ganz normaler Deutscher, einer, dem
es sogar sehr gut geht. Seht her, als Bettler habe ich das modernste
Handy, eines, das noch gar nicht richtig am Markt ist. Und ich habe die
beste und teuerste Actioncam mit mir, die es zurzeit gibt. Ich könnte
die Erfolge meines Lebens aufzählen. Was ich schon alles war und was
ich schon erreicht habe. Ist es das, was im Leben zählt?
Zu zweit durch die Unterwelt
Auszug aus Israel Trail mit Herz
Vom Barak Night Camp zur Zihor Junction
Durch den Barak Canyon und den Vardit Canyon: Etwa 29 Kilometer,
390 Höhenmeter Gesamtanstieg. Trinkwasserverbrauch 8 Liter.
Wie habe ich Tsur nach meinem ersten Kennenlernen in Arad noch
verflucht. Und wie bitter habe ich es bereut, so ein Stoffel gewesen zu
sein. Nun habe ich eine zweite und dritte Chance. Er ist hier. Und endlich
habe ich einen Menschen bei mir, mit dem ich meine Gefühle teilen
kann. Die Familie unterhalb schenkt uns beim Aufbruch in der Dunkelheit
etwas Wasser und Pitabrot. Man versteht sich hier draußen einfach
und man ist entspannt. Da ist keiner dem anderen böse, weil er mal eben
die Nachtruhe gestört hat. Das Menschliche zählt! Tsur hat natürlich
keine Stirnlampe, aber nun hat er meine Reservelampe in der Hand.
Wir haben immer noch fast Vollmond und machen uns auf den Weg.
Die menschliche Nähe berührt mich. Tsur merkt nicht, dass ich
weine. Ich habe nun fast 40 Tage Abenteuer hinter mir, was mich weit
über meine physischen und psychischen Grenzen gebracht hat. Nichts
ist mehr Normalität. Längst bin ich in einer anderen Welt angekommen.
Jeden Tag aufstehen und gehen dürfen. Dabei bin ich komisch
geworden. Ich hätte wohl Probleme, würde man mich jetzt auf einen
Schlag zurück in meine Heimat beamen.
Tsur redet nicht viel. Er ist einfühlsamer geworden. Seinen respektvollen
Abstand von über 500 Metern empfinde ich zum ersten Mal als
zu weit. Wir gehen nun direkt nebeneinander. Tsur hört aus der Tiefe
der Nacht heraus die Tierstimmen und erklärt sie mir. Ich entdecke
eine ganz andere Seite an Tsur. Er ist nun kein Spinner mehr, sondern
einer, der mit seiner verletzlichen Seele tief in dieser wunderbaren
Natur verwurzelt ist. Jedem Schritt folgt eine Erklärung von Tsur, über
die Vergangenheit, und ja, auch über Giraffen, die man hier tatsächlich
ansiedeln möchte. Was für ein komischer Zufall!
Die Morgentoilette ist ebenfalls etwas, das mir nun als völlig normal
vorkommt. Tsur geht weiter und ich suche mir einen schönen Platz
an der Felswand. Es geht nun auch ganz entspannt. Ich habe keine
Angst mehr davor, dass mir womöglich jemand zusehen könnte oder
dass es ganz einfach vor lauter Verkrampfung nicht klappen könnte.
Das Papier wird danach verbrannt, und das Natürliche mit Erde aufgeschüttet.
So verbleibt nichts, was stört. Und ich mache es nun auch
so wie Tsur. Ein paar Tropfen Wasser gönne ich mir für die Hygiene.
Tsur ist schon weit voraus. Nach einer knappen Stunde hole ich ihn
wieder ein. Er wartet auf mich. Und Tsur hat eine Überraschung für
mich: einen kleinen Beutel mit Müsli.
Nach der Pause nähern wir uns einer überdimensionalen Felswand.
Nur ein kleiner, schulterbreiter Felsspalt gewährt uns Einlass in eine
der spektakulärsten Unterwelten dieses Planeten. Barak Canyon und
Vardit Canyon heißen diese Orte lapidar. Doch was nun folgt, ist atemberaubend
schön. Schlagartig ist es kühl, und mein Puls beginnt zu
rasen. Ich folge Tsur hinein in eine mystische Welt der Felsstürze, der
Höhlen und Zigtausend Jahre alter, ausgetrockneter Wasserfälle. Der
Sandpfad schlängelt sich an einem schmalen, fiktiven Wasserlauf ent 285
lang, der sich hier vor sehr langer Zeit kilometertief in den harten Fels
gesägt hat. Kaum eine Armlänge breit ist der Pfad, beklemmend eng
und doch grandios, über alles je Gesehene erhaben. Auf beiden Seiten
türmen sich Hunderte Meter von Felswänden senkrecht und teilweise
überh.ngend auf.
»Christian, this is the Spirit of the Holy Land. Listen!« Tsur brüllt in
die Felswände hinein: »Looooove!«– »Peace!«– »Can everybody hear
me?« Dann setzt Tsur sich hin und wird ganz nachdenklich. »Wahrscheinlich
hat mich keiner gehört«, sagt er. Und er sagt: »Schön, dass
du da bist. Hier in Israel, meine ich. Es ist nicht wegen mir. Es ist, dass
jemand sieht, wie es wirklich ist.« Tsur steht auf und hindert mich
daran, ihm sofort zu folgen. Ich bleibe also ein wenig auf Abstand.
Die landschaftliche Kulisse hier ist allein für sich schon Wahnsinn.
Aber dass hier einer seinen Wunsch nach Liebe und Frieden in
die Felswände hineinbrüllt, zerreißt mir fast das Herz. Das ist alles so
anders, als man es im Fernsehen sieht. Das Menschliche und die Liebe
sind so zum Greifen nahe, und das über viele Dimensionen hinweg.
Ich gehe. Mit meinen Händen greife ich nach den Metallleitern,
die mich die 20 Meter hohen trockenen Wasserfälle erklimmen lassen.
Die Röhre, in der ich hinter Tsur nach oben klettere, ist wie eine überdimensionale
Ader, in der man sich wie ein großes Blutkörperchen
nach oben bewegt. Der Schrei eines Adlers lässt Tsur und mich für
einen Augenblick zusammenzucken. Wir blicken nach oben in den
unendlichen Himmel aus Fels und Stein. Kein Sonnenstrahl dringt
hier nach unten, nur indirektes und vielfach reflektiertes Licht erreicht
die Unterwelt. An Seilen und Leitern hangeln wir uns über eine Stunde
lang nach oben. Wir durchqueren Wasserlöcher, voll mit kühlem,
grünlich schimmerndem Wasser. Weiter oben sehe ich dann zwischen
den eng stehenden Felswänden den tiefblauen Himmel. Mit etwas
Übung könnte man den Barak Canyon vielleicht auch mit Kindern
machen und Disneyland alt aussehen lassen.
Die Durchquerung dieser Unterwelt ist sicher einer der absoluten
Höhepunkte in Israel. All das hat längst nichts mehr mit dem gemein,
was man sich als Tourist unter Israel vorstellt. Der Barak Canyon ist
kein Totes Meer und kein Jerusalem. Er ist kein Hotspot und Touristenort.
Aber er ist eine der ganz seltenen Sensationen auf diesem
Planeten, die man noch als ursprünglich bezeichnen darf. Hier gibt es
keinen Busparkplatz und keinen Souvenirstand. Hier wird dein Reiseplan
noch vom Staunen und von der Ehrfurcht bestimmt.
Als wir aus dem Barak Canyon oben herauskommen, haben wir
schon wieder eine völlig neue Landschaft um uns herum. Ein Hochplateau,
übersät mit pechschwarzen Kieseln, brutzelt uns in der Mittagssonne.
Der Ausblick in die Ferne ist gewaltig und umwerfend schön.
Tsur glaubt, am gegenüberliegenden Berg die Form eines verschütteten
Ufos zu entdecken, und sofort geht es um die Area 51. Ob man das
vom Satelliten aus erkennen kann, fragt Tsur. Hier müsse man einmal
graben, sagt er. Doch dann gehen wir weiter. »What goes up, must go
down«, meint Jacob Saar in seinem Buch zum Israel National Trail. Und
damit meint er den Vardit Canyon, der uns einen ebenso schönen und
atemberaubenden Abstieg in die nächste prähistorische Unterwelt beschert.
Insgesamt umfasst unsere heutige Tour knapp 28 Kilometer Fußmarsch.
Die Höhenmeter halten sich in Grenzen. Das Barak Night
Camp liegt auf 100 Meter über null. Der höchste Punkt des heutigen
Tages auf 400 Meter über null. Die von Saar empfohlenen sechs
Liter Wasser sind das absolute Minimum. Ich habe sechs Eineinhalbliter-
Flaschen dabei und davon bereits vier vollständig geleert. Tsur
und ich steigen gemütlich in den Vardit Canyon ab. An den steilen
Stellen führen Metallgriffe und Metallleitern nach unten. Kurz vor
dem Ausgang kehren wir in die verzauberte Schlucht zurück, um einen
»Mittagsschlaf« einzulegen. Ausgeruht und fröhlich erreichen wir den
Ausgang des Vardit Canyons und bestaunen ein dilettantisch geheimnisvolles
Laienstück.
In flagranti ertappt hebt ein amerikanischer Mittzwanziger seinen
neu glänzenden Spaten in die Luft und sticht verlegen tänzelnd an verschiedenen
Punkten Scheinlöcher in das Erdreich. Tsur muss lachen
und uns beiden ist klar: Das ist einer von denen, die sich mit geliehener
Survival-Ausrüstung das Wasser selbst verbuddeln.
Tsur schießt den Vogel ab, indem er ihm laut zuruft: »Hi, how are
you? Hast du die Koordinaten für dein Wasser aufgezeichnet?«
Der andere entgegnet ihm mit einem unangenehm verstörten »Äh,
hi, ich weiß nicht. Was meinst du?«
Unbekümmert stochert Tsur nach und sagt hellseherisch: »Sechs
Liter sind zu wenig«, um dann gekonnt die Antwort des Amerikaners
abzuwarten.
»So steht es aber …«, stammelt er Tsur entgegen.
»Interessiert mich nicht«, meint Tsur. »Da steht auch nicht, dass
man nächstes Jahr die Leiche eines dehydrierten Amerikaners aus dem
Vardit Canyon geholt hat.«
Tsur läuft gerade zur Höchstform auf: »Neun Liter, Mann, mindestens.
Mach dein Loch noch mal auf oder bleib zu Hause.«
Der Amerikaner, Mike, stellt sich kurz vor und erklärt Tsur sein
Konzept. Fünf Liter Wasser, eine Flasche Wein, Fertigfraß und Zigaretten.
Alles hier vergraben. Was ich gut finde: Mike lässt uns unsere
Flaschen auffüllen. So komme ich heute auf gut zwölf Liter Wasser.
Während Tsur mit dem Jeep zum Night Camp mitfährt, laufe ich zu
Fuß. Ich laufe nicht, ich jogge. Die Wüste ist mein Freund. Und alles
fühlt sich nun leicht und friedlich an. Ich renne mit meinem Rucksack.
Und ich verbrauche viel Wasser. Aber ich fühle mich in diesem
weiten Wadi sehr geborgen und vor allem unendlich glücklich. Die
Bewegungsabläufe sind wie ein einziger Rausch. Stehen bleiben stört
da nur. Aus der Langsamkeit herauszurennen ist meine Art, Sorgen
aus mir herauszuprügeln. An die Grenzen zu gehen, mich zu peinigen
bringt mich an das Glück heran. Es mögen nur Endorphine sein, dafür
aber jede Menge. Langsam fange ich an, meinen Rhythmus wieder zu
verlangsamen und zu einem schnellen Gehtempo zurückzufinden.
Nach etwa zwei Stunden kommt plötzlich Tsur hinter einem Busch
hervor. Er ist wieder ausgestiegen. Er hat Sehnsucht danach gehabt,
den heiligen Boden mit seinen eigenen Fü.en zu betreten. Schon ver 288
rückt. Hier ist er wieder. Nichts ist hier im Freien geplant. Aber Zufall
und Intuition funktionieren weit besser als ein Terminplan. Gemeinsam
wandere ich mit Tsur zur Zihor Junction, also dem Night Camp
in der Nähe einer Verkehrskreuzung. Die Verkehrsader durchquert
hier den Negev. Man überquert sie und wandert noch ein paar Schritte
weiter, so ist man dennoch in der Natur. Und dann wirft man seinen
Rucksack herunter und sagt: